Aus den Nachrichten der Monate:

 

Das Widerspruchsrecht gegenüber Behörden , ein altes Bürgerrecht in einzelnen Bundesländern so auch in NRW ist abgeschafft,

Zur Begründung:

Der Bürger könne ja bei Gericht klagen, und dies bei oftmals recht kleinen Fehler von Behörden bei Bescheiden.

Eine klare Tendenz hin zur Einschüchterung von Menschen, zur Schwächung von Demokratie und Transparenz, zu einem Kalkül, dass immer mehr Menschen von ihrem Recht auf Widerspruch bei immer höheren Hürden schon keinen Gebrauch machen werden.

Einen Widerspruch zu formulieren und einzufordern, das ist keine Kunst, für viele eben auch leistbar, überschaubar und direkt, aber der Schritt hin zur gerichtlichen Auseinandersetzung, auch mit Kosten, ist eben immer exklusiver für Menschen aus privilegierter Schicht. -/-

 

Schon vor Jahren ein Mitarbeiter einer großen deutschen Krankenkasse;

Wir sind angehalten, nach marktwirtschaftlichen Bedingungen, die Gesundheitsdienste an Menschen einzusparen“ ... und dies natürlich immer mit einem Lächeln des Sachbearbeiters dem Kunden gegenüber. -/-

 

Menschen , die mit uns in der Emmaus Gemeinschaft als Kunden mit „Hartz IV“ Hintergrund einkaufen, Menschen, die Suppe am Apppellhofplatz essen kommen:

Die Sachbearbeiter der Jobcenter nehmen uns als Menschen mit vielschichtigen Problemen nicht wahr, wollen den durchsichtigen Menschen bei ihren sogenannten Hilfsprogrammen, denen wir uns immer mehr entziehen müssen. Wir können das Hilfssystem nicht verstehen und passen nicht hinein“

Oft natürlich von kleinen Gaunereien und Unzulänglichkeiten begleitet spüren Menschen, dass sie sich nicht in die Karten gucken lassen wollen, die Konsequenz:

Sie nehmen die Hilfen der Ämter nicht mehr in Anspruch.

Behörden und Ämter, und sogar die mit sozialem Anspruch werden mehr und mehr wahrgenommen als kontrollierende, Hilfe verschweigende Institutionen, die man am liebsten von außen betrachtet.-/-

 

Alte, erfahrene Organisationen in der Sozialarbeit, vorrangig in der Obdachlosenarbeit nehmen zur Kenntnis, dass auch sie weniger Leistungen bezahlt bekommen, die sie aber tatsächlich erbringen.-/-

 

Statt dessen werden einmal im Jahr die Arbeiten von Ehrenamtlichen mit Kaffee und Kuchen und Ansteckstecknadeln und warmen Händedrücken gefeiert, es ist offenbar, dass das Ehrenamt immer mehr existenzielle Arbeit übernehmen soll und muss, da sich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf allen Ebenen aus ihrer Verantwortung gestohlen haben, schlimmer noch, sich dem Diktat des „Marktes“ unterworfen haben.-/-

 

...und dann eine sonntägliche Talkrunde im Deutschen Fernsehen bespricht mit viel parteipolitischen Stellungskämpfen eine Studie zum Verhältnis der Deutschen zur Demokratie, zur Politikmüdigkeit , der Einstellung zur politischen Klasse

 

Eine Erklärung , vielleicht auch nur ein schönes Lippenbekenntnis der Politik, hier der Parlamentarierer des Europaparlaments:

  • in der Erwägung, dass der Rat "Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz" die Bekämpfung von Obdachlosigkeit 2005 als Priorität festlegte, und Obdachlosigkeit auch im Rahmen des Aspekts der "aktiven Einbeziehung" im Kontext der Strategie der Europäischen Union betreffend den Sozialschutz und die Integration als vorrangig zu bekämpfendes Phänomen eingestuft wurde,
  • in der Erwägung, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum ein grundlegendes Menschenrecht ist und der Zugang zu einer Bleibe oft der erste Schritt hin zu geeigneten und dauerhaften Wohnmöglichkeiten für Menschen ist, die von extremer Armut und Ausgrenzung betroffen sind,
  • in der Erwägung, dass in jedem Winter überall in der Europäischen Union Menschen erfrieren, weil es nicht genug Notunterkünfte und mobile Dienste gibt,
  • in der Erwägung, dass Obdachlosigkeit die sichtbarste Form von Wohnungslosigkeit ist, die nur als Teil einer umfassenden, ganzheitlichen Strategie wirksam bekämpft werden kann,
  • in der Erwägung, dass es dieses Jahr bereits zweimal dringende Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gefordert hat,

1. fordert den Rat auf, sich darauf zu einigen, dass EU-weit der Obdachlosigkeit bis zum Jahre 2015 ein Ende gemacht wird;

2. fordert die Kommission auf, eine EU-Rahmendefinition von Obdachlosigkeit auszuarbeiten, vergleichbare und zuverlässige statistische Daten zu erheben und jährlich über die neuesten Maßnahmen und Fortschritte in den Mitgliedstaaten zur Beendigung der Obdachlosigkeit zu berichten;

3. fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, "Notpläne für den Winter" als Teil einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit auszuarbeiten;

4.beauftragt seinen Präsidenten, diese Erklärung mit den Namen der Unterzeichner dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

Soweit das Europa- Parlament !

Gibt es überhaupt noch einen gemeinsamen Blick in dieser politisch, wirtschaftlich und sozial aufgerissenen und verwundeten Gesellschaft für unsere Demokratie?

Hat sich nicht gerade in den letzten 20 Jahren des „Neuen Evangeliums der Freien Marktwirtschaft“ eine unglaubliche geistige Verstümmelung ja schon Verblödung gezeitigt und hat sich nicht das politische Desinteresse z.B. in der Elternhäusern derart ausgebreitet, dass Kinder und Jugendliche aus den unteren Gesellschaftsklassen tatsächlich schon auf verlorenem Posten sind und dort auch bleiben sollen?

Gibt es nicht schon lange eine gesellschaftliche Entwicklung, die immer deutlicher einkommensschwache - lose Menschen ausgrenzt , zum nutzlosen Beiwerk unseres Landes erklärt hat und deren Schritte in die Gesellschaft hinein immer mehr verbaut sind. Beispiele zuhauf:

Elterngeld für gutverdiendende Ehepaare, dreigliedriges, aussortierendes Schulsystem ?

Muss man sich nicht vielmehr wundern, wie geduldig Millionen von Ausgegrenzten und Menschen in Arbeit und Beruf, aber auf der unsicheren Schiefebene von Armut trotz Arbeit diese Entwicklung ertragen und das gerade in Zeiten immer grandioserer Boni für für wirtschaftlichen Mißerfolg.

 

Es besteht tatsächlich die Gefahr , dass die Instrumente unserer Demokratie von der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr verstanden, vielleicht auch nicht mehr akzeptiert werden

 

 

Aber es gibt Hoffnung auf eine andere Gesellschaft.

 

Und wenn sich unser Staatswesen nicht mehr als Ganzes steuern lässt, vor allem eben nicht von oben nach unten , so gibt es eben gerade auch am  "Bodensatz der Gesellschaft“ sehr viele interessante Alternativmodelle von Solidarität und gemeinsamen Aktionen.

Es werden in den nächsten 20 Jahren die Armen andere Modelle von Arbeit , Zusammenleben und Teilen organisieren wollen und müssen, denn hier gilt es zu verstehen, was uns die sog. Dritte Welt schon lange vorgegeben hat:

Wer soll denn ihr Schicksal in die Hand nehmen, wenn nicht die Ausgegrenzten und Verzweifelten selbst?

Es werden immer mehr selbstbestimmte Projekte von unten her entstehen neben den Banktürmen von Frankfurt oder der Wall Street.

 

Antworten von Emmaus:

- „ wie kann ich glücklich sein, wenn mein Nächster leidet...“

  • Begrenzung auf das Wesentliche, auch und vor allem auf das Lokale.

  • Empowerment von Menschen, die man abgeschrieben hat

  • eine andere Identität , die neu zuentdeckende Würde als teilnehmendes Mitglied in einer anderen Form von Gesellschaft.

  • Erkennen, dass es eine andere Wirklichkeit gibt als die, die uns materielles Glück vorbetet.

  • Internationaler Horizont

  • von unten her lokale, regionale und internationale Netzwerke aufbauen und weiterentwickeln

  • entdecken, dass wir nicht von Gott und der Welt verlassen sind, wenn uns die große Politik vergessen hat, uns in die Schmuddelecke stellen will,  sondern, dass unsere Aktionen Politik sind , Aktionen von unten, die die Welt verändern können.

 

 

 

 

Brief von Emmaus – Mitarbeitern an einen Freund

 

gestern haben wir dich erneut sehen und hören dürfen , und es ist immer wieder ein Vergnügen, aber auch eine Herausforderung für uns , euch zu hören.

Immer , wenn du in der Geschichte , in den Verwicklungen, Heucheleien und Schönfärbereien unserer Stadt Köln herumwühlst, die wir aber doch alle lieben ,

sind wir beeindruckt von so vielen Details über unsere Stadt.

 

Wir sind alle Kölner Bürger , das ist wohl wahr und doch , und das ist der Grund unseres Briefes, es ist auch wahr, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen und deren Vertreter immer mehr ins Abseits zu geraten scheinen.

Da wir wissen, dass du dafür ein sensibles Näschen hast, versuchen wir es eben mal.

 

Es geht dabei weniger um Emmaus als Selbsthilfe, die ganz gut dasteht, die eben in Köln auch eine gewisse Daseinsberechtigung zu haben scheint, es geht vielmehr um Gruppen und Menschen, die immer weniger eine Lobby haben:

Das ganze „Gemölsch“ von Armen, Migranten, Sans- Papiers, kinderreichen Familien, ALG II- Bezieher, hart Arbeitenden, deren Lohn aber nie reicht für ein auskömmliches Leben.

 

Die Art und Weise , wie unsere Politik .die Verwaltung und die Medien , also die „Eliten“ unserer Gesellschaft mit diesem „Pack“ und deren Interessenvertretern

umgeht, einfach links liegen lässt, zustehende Rechte erst einmal verweigert,

das Schwarze unter den Fingernägeln bei jedem Einzelnen abfragt, kontrolliert und protokolliert, und immer zu Ungunsten der Armen auslegt, immer höher die Hürden macht....

dies alles macht uns immer zorniger … und wir finden keine Verbündeten mehr bei den „Eliten“.

Das Emmaus Leute, und das haben wir noch vor kurzem bei einem Deutschlandtreffen der Compagnons herausgearbeitet, wissen, dass sie selbst eine „Elite von Unten“ sind, das will ich gar nicht bestreiten und das macht uns auch stolz auf all das Geleistete.

 

Uns scheint aber, dass die soziale Frage nicht im sog Mainstream steht, dass mehr darüber philosophiert wird, wie wir aus dem Atomstrom herauskommen, im Übrigen eine wichtige Debatte, aber die Frage nach der Gerechtigkeit, nach dem Sinn guter Arbeit , Ernährung, Behausung und Bildung , und zwar nicht nur für Eliten sondern als Menschenrecht für alle:

Das kann man keinem mehr verkünden, statt dessen richten wir uns auf „Wohlfahrt“ ein, auf die „Vertafelung“ der Gesellschaft, in der die Armen nie Rechte haben, aber mit Almosen kaltgestellt werden.

 

Lieber Freund,

es scheint , dass viele an den Wunden der Gesellschaft herumschneiden, die man nur für sich gesehen, nicht allein behandeln kann.

Und das wissen auch alle.

Wenn wir von Politik reden, dann meinen wir, dass es , wie Abbé Pierre vor vielen Jahren gesagt hat; einen Krieg der Reichen gegen die Armen gibt, der auch auf ganz anderen Ebenen geführt wird als nur auf der kommunalen Ebene .

Ob in Bildungs- Gesundheits- und Arbeitssystemen:

Es sollen nutzlose Menschen aussortiert und möglichst nicht mehr zu Wort kommen.

Das System will und kann nur noch die lokalen Wunden ein wenig zukleistern , an einen Wechsel im Bewusstsein , der Vision, dass alle Menschen ihre Würde , ihren Zugang auf Gesundheit, Bildung und Arbeit haben, wird schon lange kein Gedanke mehr verschwendet.

 

In diesem Räderwerk ist die Verwaltung zuständig, die Misere eben zu verwalten und wir von Emmaus möglichst für den „Almosenbetrieb“.

Und wir wissen auch dies alle: Das wird nicht reichen in einer globalisierten Welt, in den Millionen von Menschen von Osten und Afrika nach Europa drängen und sich das holen werden , was sie brauchen und was wir ihnen nicht geben wollen...../

 

Gutverdiendende aus Mittelschicht verachten den Sozialstaat, Intellektuelle machen Front gegen Solidarität.

Alles eben nicht neu, denn schon vor ca 15 Jahren, ein paar Jahre nach der weltweiten Einführung, dem weltweiten Sieg des neoliberalen Denken, der Idee, dass man die Reichen so weit entlasten muss wie nur irgend möglich , die deregulierten Kräfte des „Heilenden Marktes“ alles tun, dass auch im Bodensatz der Gesellschaften der Wohlstand ankomme, haben wir von Emmaus schon vorausgesagt, dass es eine Spaltung der Gesellschaft in Reich und Arm geben wird, mit wenig Interesse aneinander, mit keinerlei Kenntnis voneinander,

Aus dem Wohlstand für alle ist natürlich nichts geworden, vielmehr werden nach dem Prinzip der Barmherzigkeit einige Brosamen als Almosen und Spenden unter den Tisch geworfen.

 

Die Frage nach freier Entfaltung in Menschenwürde , nach gerechten Strukturen,

nach freiem Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kultur wird gar nicht mehr gestellt, ist nicht mehr Thema des politischen Mainstreams, vielmehr:

Armut und Ausgegrenztsein ist jeder selber schuld, und vielleicht gibt es den ein oder anderen Gutschein, das Carepaket der Tafeln zu Weihnachten, denn Verelendung ist nach heutigem Verständnis individuell zu verantworten und eben auch individuell zu begegnen, aber immer durch Gewährung von Almosen

 

und in 2009 , dem Jahr des Jubiläums von Emmaus mit vielen Darstellungen in der Presse wurde uns dies auch klar:

Der Kampf für Gerechtigkeit, die innere Struktur einer Emmaus- Gemeinschaft, die nicht ein Ort des Almosens ist, wo nicht ein Teller Suppe gewährt wird, sondern wo möglichst selbstbewusste Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen und können, wird gar nicht mehr verstanden, gar nicht mehr gewollt zur Kenntnis genommen.

 

Kurz:

Entweder Geld und Arbeit oder Almosen und offene Hände zum Betteln, das sind die einzigen Alternativen der Wahrnehmung auch in der sog. wohlmeinenden Öffentlichkeit.

 

Uns von Emmaus öden diese Bilder und Wahrnehmungen immer mehr an, aber letztlich sollen wir dankbar sein ob der Spende, die uns dann schon auch mal erreicht.

Letztlich ahnen wir auch, dass die wohlmeinenden Reichen und Eliten bei allem Sponsoring nicht bereit sind, auf die wirklichen Ursachen von Ausgrenzung und Verelendung zu schauen.

Geldspenden beruhigen die Nerven , das Gemüt und das Gewissen.

 

Und immer werden zusätzlich diejenigen , die noch nicht einmal mehr wohlmeinend daherkommen mit Verständnis und einer Spende:

Elend, Behinderung, Altsein, Arbeitslosigkeit kotzt sie an, und das sagen sie auch immer offener.

Die Gesellschaft spaltet sich auf und keine gemeinsame Basis , Gemeinwesen,

ein „Common Sense“ ist nicht erkennbar und auch nicht mehr gewollt.

Die Vermögenden kaufen sich ihre Leistungen und haben kein Interesse mehr an einer allgemein funktionierenden Infrastruktur von Staat und Kommunen.

Genau deshalb ist auch folgerichtig, dass diese Klasse denn auch immer weniger Steuern zahlt, Steuern sind zur Finanzierung von allgemein zugängigen Einrichtungen bestimmt, wer sich allerdings alles kaufen kann, braucht den Staat nicht mehr..

 

und wenn alles an Strukturen in einer Gesellschaft vor die Wand gefahren ist, weil nicht mehr finanzierbar, dann funktioniert jedoch immer noch dies:

Verwaltung, Polizei und Armee zur inneren und äußeren Kontrolle der Verelendeten und am Rande Stehenden und potentiell Kriminellen.

 

Lieber Freund , es scheint in diesem System zucken wir ein wenig herum, eben jeder in seiner jeweiligen Ecke

aber bei allem vielleicht durchscheinenden Pessimismus, der gar keiner ist, sondern eher Realismus, ist die einzige Chance für die Menschen, um die wir uns „kümmern“, dass sie ihre Schicksal selbst in die Hand nehmen werden, und das tun sie , von uns allen oft nicht erkennbar.

Verwaltungssystemische Netzwerke sind das eine, aber vor allem sind es die alternativen Wirtschaft- und Lebensformen, die das Gesicht unserer Gesellschaft verändern werden. Das ist keine Romantik, wir lernen in dieser ehemaligen Wohlfahrtsgesellschaft, in dieser ehemaligen Sozialen Marktwirtschaft das, was andere Gesellschaft in anderen Kontinenten schon immer machen mussten:

wer soll schon die Armen retten, wenn nicht sie selbst.

 

Aber wir da unten zahlen einen verdammt hohen Preis für unser selbstbe-stimmtes Leben ,

und wir würden so gerne diese verkrusteten Herzen und Gehirne manchmal etwas aufweichen oder aufreißen wollen.