01. Februar 2004

Aufruf zum Wiederspruch
Erneuter Aufruf zum "Appell zur Güte" von Abbé Pierre

 

"Zu Hilfe meine Freunde. Heute nacht um drei Uhr ist auf dem Boulevard Sebastopol eine Frau gestorben, sie hatte nur ein einziges Papier bei sich, den ihr vorgestern zugestellter Räumungsbefehl."

Vor 50 Jahren in der Nacht zum 1. Februar 1954 hielt Abbé Pierre diese Ansprache im Radio Luxemburg. Die Mehrheit der Franzosen reagierten darauf mit außerordentlicher Großzügigkeit.
Mit vielen anderen Menschen und Initiativen fühlen wir von
emmaus, daß dieser Aufruf Abbé Pierres auch und gerade jetzt nach 50 Jahren der Aktion bedarf.
Fünfzig Jahre später erinnern wir uns an dieses Ereignis auf so vielen Titelseiten in der ganzen Welt, aber die Situation der Obdachlosen bleibt besonders in den kalten Wintermonaten − aber nicht nur dann − unverändert tragisch.

Und während unserer 10. Weltversammlung in Burkina Faso haben die Delegierten festgestellt, daß dieser Aufruf aktueller ist denn je.

  • Die Frage nach bezahlbarem und menschenwürdigem Wohnraum besteht nach wie vor
  • Die Gesetze und das "Neue Evangelium" des seit ca. 15 Jahren vorherrschenden neoliberalen Marktes, haben nicht dazu geführt, das sich Wohlstand von oben nach unten fortsetzt
  • Man muss nicht zwangsläufig ein "Globalsierungsgegner" sein, um zu verstehen, das die Neuen Herren der Welt oft die Alten sind, nämlich die multinationalen Konzerne
  • Korruption, Gewaltbereitschaft, wegbrechendes Demokratieverständnis, ökologische Katastrophen sind die Wegbegleiter dieser neuen Denkschule


In der heutigen Zeit sind in Europa 70 Millionen Menschen gezwungen, in sehr alten Häusern zu leben, und drei Millionen Menschen leben und schlafen draußen ohne Dach über dem Kopf.
Diese Zahlen können mühelos auch auf andere Kontinente übertragen werden.

Die
emmaus Bewegung, mit ihren Gemeinschaften, ihren Gruppen und anderen Initiativen versucht diesem Missstand entgegen zu wirken. Diese Tragödie betrifft alle: jeden einzelnen Bürger und alle öffentlichen Behörden.

Diese Empörung wird ein Antrieb für jeden von uns. Denken Sie doch an die vielen leer stehenden Häuser in Ihrer Stadt ,die durch ein neues Nutzungskonzept vielen Menschen leben retten könnten, und besonders an die riesigen Ausgaben zur Finanzierung der Rüstungsindustrie und der Kriege überall in dieser Welt.

Heute ist Europa, auf der Ebene der EU, wie auch die anderen Weltmächte, in sozialer Hinsicht eingeschlafen. Wir müssen aufwachen, andere aufwecken und handeln!
Die Zeit ist gekommen, nicht nur auf Notfälle zu reagieren, sondern auch die Menschenrechte zu respektieren und einzufordern, so dass die Möglichkeit für jeden einzelnen besteht, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Vor 50 Jahren startete der "Appell zur Güte" als die Besitzerin des "Hotel Rochester" Obdachlose von den Pariser Straßen herein bat und ihnen Schlafplätze in ihren geheizten Hotelzimmern anbot.

Warum kann dieses Wunder heute nicht noch einmal geschehen?
Aber auch wenn dies passieren würde, es wäre nicht genug!

Wir appellieren 50 Jahre später an das vereinigte Europa, sowie an alle Regierungen in der ganzen Welt, Lösungen und neue Modelle zu finden, um dieser Vernachlässigung der Menschenwürde entgegen zu wirken. Ziel ist es, das Recht auf menschenwürdige Unterbringung mit Vorrang in allen sozialen Programmen zu verwirklichen.

Wir beantragen "das Recht auf menschenwürdige Unterbringung" in die Charter der EU aufzunehmen. Ebenso sollte dieses Recht in anderen internationalen Gremien angewendet werden.

Wir appellieren an alle Regierungen in Europa und auf anderen Kontinenten, dem Beispiel von Frankreich zu folgen, um die Vertreibungen von öffentlichem Grund und Boden zu stoppen.

Wir appellieren an alle örtlichen Verwaltungen in den Grundbesitz der Kommunen zu investieren. Kaufen Sie Häuser und stellen Sie diesen Wohnraum den Obdachlosen zur Verfügung!

Wir appellieren an die Bürgermeister und an ihre Verantwortlichkeit, auf die Gesundheit jedes Einwohners zu achten und den Obdachlosen beschlagnahmte verlassene Häuser zur Verfügung zu stellen.

Klagen wir diese Zustände an und handeln wir zusammen!


emmaus-Gemeinschaft in Köln
emmaus-Bewegung in Köln